Bei der Textqualität ist Mittelmaß an der Tagesordnung. Wie kommt das? Und warum verzichten so viele Unternehmen auf die Chancen, die guter Text bietet? Die Textfachfrau hat Fragen.
Textqualität Mittelmaß? Bestenfalls.
Mit diesem Blogartikel habe ich mich schwergetan. Sehr schwer. Es geht um ein Thema, das mich umtreibt, aber ich kaue seit Monaten darauf herum, wie ich es im Blog angehen soll. Ich möchte darüber schreiben. Allerdings ist es auch kein guter Stil, für sich zu werben, indem man andere schlechtmacht. Das ist zwar nicht meine Absicht, aber es könnte so scheinen. Von der Leitung schubste mich schließlich eine Kollegin und Freundin, indem sie es auf den Punkt brachte: Zu viele Menschen geben sich in Sachen Textqualität mit Mittelmaß zufrieden. Das ist das Problem.
Aber fangen wir am Anfang an. Vor einigen Monaten habe ich mich auf den Websites einiger Werbeagenturen umgesehen und war entsetzt. Kommasetzung war durchweg problematisch, es gab Rechtschreibfehler, falsch verwendetes Deutsch, im großen Slogan auf der Startseite fehlte ein Wort, mitten im Absatz wechselte die Anrede von „Sie“ zu „Du“, unverhofft fanden sich englische Textteile. Und das waren nur einige der Probleme.
Das merkt doch niemand …
Werbeagenturen verdienen ihr Geld (auch) mit Text. Doch die besuchten Agenturen demonstrierten auf ihren eigenen Websites Text-Können auf einem Niveau, das oft deutlich unter Mittelmaß blieb. Und dennoch sind sie im Geschäft, überzeugen Menschen davon, dass sie ihrem Unternehmen mit diesen Fähigkeiten weiterhelfen können.
Diese Menschen leiten beispielsweise einen Pflegedienst, verkaufen Fahrräder, betreiben ein Restaurant. Ihre Fachkenntnisse liegen auf einem anderen Gebiet als Text. Deshalb müssen sie sich darauf verlassen und verlassen dürfen, dass sie von Profis guten, überzeugenden Text einkaufen. Selbst beurteilen können sie die Textqualität nicht unbedingt und ein großer Teil ihrer Kundschaft vielleicht auch nicht.
Heißt das, dass die Textqualität egal ist? Ganz und gar nicht.
- Erstens: Selbstständige und Verantwortliche in Unternehmen betreiben ihr Metier mit Herzblut und stellen hohe Ansprüche an ihre Arbeit. Ganz sicher macht dieser Anspruch nicht vor der Textqualität halt, nur weil sie diese selbst nicht beurteilen können. Genau deswegen beauftragen sie ja Profis.
- Zweitens: Vielleicht erkennen viele die Textschwächen nicht – aber eben nicht alle. Genügend Menschen bemerken fehlerhafte Texte sehr wohl und bekommen dadurch einen schlechten Eindruck vom Unternehmen.
- Drittens: Auch wenn die Zielgruppe nicht sattelfest in Kommasetzung, Groß- und Kleinschreibung ist, wirkt schlechter Text – nämlich unvorteilhaft.
Gute Texte wirken. Schlechte auch.
Ein korrekter Text strahlt eine andere Professionalität und Vertrauenswürdigkeit aus als ein Text voller Fehler. Ich bin überzeugt, dass auch Menschen, die unsicher sind, wo das Komma denn nun hingehört und ob es „Frank´s Bootswerkstatt“, „Frank’s“ oder „Franks“ heißt*, spüren, ob ein Text angenehm lesbar ist oder holpert.
Probieren Sie es selbst aus, hier ist ein Beispiel: Wie wirken die beiden Texte (aus meinem Artikel „12 Gründe, warum die Arbeit mit Text der tollste Beruf ist“) im Vergleich auf Sie?
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Hinterlässt die Textversion, in die ich Fehler eingebaut habe, ein Störgefühl bei Ihnen? Genau: Auch wenn Sie vielleicht nicht überall den Finger darauflegen können, Sie spüren die Fehler. Der Text sieht anders aus und klingt anders als andere Texte, die Sie aus Fachbüchern, Zeitschriften, Newslettern oder der Tageszeitung gewohnt sind. Er irritiert.
Aber man versteht, was gemeint ist. Vermutlich ist genau das der Punkt, an dem sich viele zufriedengeben: Die reine Information, die sie vermitteln möchten, kommt ja rüber. Wann ist das Geschäft geöffnet? Installiert der Betrieb nur Waschbecken oder auch Wärmepumpen? Serviert das Restaurant auch glutenfreie Gerichte? Wer am Dienstagnachmittag einkaufen möchte, eine Wärmepumpe sucht oder nur glutenfrei essen darf, findet die gesuchte Antwort. Auftrag erledigt.
Schlechte Texte zerstören Vertrauen
Das mag für kleine Handwerksbetriebe und den lokalen Einzelhandel noch funktionieren. Aber spätestens, wenn es um teure Produkte oder den B2B-Bereich geht, müssen Texte auf Websites, in Broschüren und Whitepapern mehr leisten, als bloß Informationen zu vermitteln. Wer eine teure Kreuzfahrt bucht, möchte bereits beim Planen einen Hauch von Luxus spüren. Wer ein neues Warenwirtschaftssystem für das Unternehmen sucht, erwartet von der Softwareschmiede einen professionellen Auftritt und den Blick für Details. Wer die AEMP eines Krankenhauses neu ausstatten will, möchte sich auf Kompetenz verlassen können.
Bei solchen Recherchen läuft der erste Kontakt mit einem Unternehmen über Text. Texte sagen immer auch etwas über das Unternehmen und seinen Anspruch aus. Bei einem Unternehmen, dem seine eigene professionelle und hochwertige Außendarstellung offensichtlich egal ist, liegt der Schluss nahe, dass es seine Produkte und Leistungen ebenso nachlässig handhabt. Schlechte Texte zerstören Vertrauen.
„Wir können doch alle Deutsch.“ – Ja, aber …
Wie kommt es, dass so häufig kein Wert auf guten Text gelegt wird? Ich vermute, dass zu viele Verantwortliche gar nicht wissen, dass Text nicht gleich Text ist. Dass es Unterschiede gibt wie zwischen verkochtem Rosenkohl und einem spritzigen Obstsalat. Sie wissen nicht, wann ein Text lahm ist. Wie mitreißend dagegen ein gut geschriebener Text mit dem gleichen Inhalt klingen kann und welches Potenzial er dem Unternehmen eröffnet. Dass „wir können doch alle Deutsch“ nicht ausreicht.
Im Alltag ordentliches Deutsch zu sprechen, garantiert noch lange nicht, dass man auch gute Texte zustande bringt. Gute Texte sind mindestens korrekt, aber vor allem wirkungsvoll. Für korrekte Texte braucht es überdurchschnittliche Kenntnisse in Rechtschreibung, Zeichensetzung und Typografie. Um wirkungsvolle Texte zu schreiben, muss man wissen, wie Texte funktionieren und welche sprachlichen Mittel was bewirken. Im Idealfall kennt man sich auch noch im Textthema aus.
Deutschkenntnisse alleine genügen eben nicht.
Text in der Zukunft: zwischen KI und PISA
Ein neuer Aspekt kommt durch die sogenannte künstliche Intelligenz, die KI, in die Diskussion. Die KI kann das Texten als hilfreiche Ideengeberin unterstützen. Sie kann auch selbst Texte erzeugen. Aber Vorsicht: Diese Texte erfüllen keine professionellen Ansprüche und müssen unbedingt geprüft und nachbearbeitet werden. (Ebenso wie computergenerierte Übersetzungen, aber das ist ein anderes Thema.) Je öfter Verantwortliche auf diese Nachbearbeitung verzichten und KI-Texte direkt veröffentlichen, desto mehr Mittelmaß werden wir lesen müssen. Was wiederum ein Vorteil für richtig gute Texte mit menschlicher Intelligenz, Empathie und Witz ist: Sie leuchten wie eine Blume in der Pflasterwüste.
Korrekte und professionell geschriebene Texte sind außerdem leichter zu verstehen als Texte voller Fehler. Dieser Aspekt dürfte immer wichtiger werden. Die PISA-Studie 2022 hat im Dezember 2023 festgestellt, dass nur noch etwa 75 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland in der Lesekompetenz das Mindestniveau erreichen. Immer weniger Menschen sind also in der Lage, sinnentnehmend zu lesen. Ihnen allen macht man es leichter, wenn der Text wenigstens korrekt ist und sie beim Lesen nicht auch noch Textfehler kompensieren müssen.
Mittelmaß oder doch lieber besser?
Was folgt aus all dem für die Textqualität? Reicht uns in Zukunft bei der Textqualität ein Mittelmaß? Hauptsache, die Fakten stimmen, bei der B-Note kann man gerne Abstriche machen? Sollte man für jeden Text das Optimum anstreben? Wo treffen sich (Kosten-)Aufwand und Nutzen? Sind wirtschaftliche Erwägungen überhaupt relevant? Wie lässt sich der Nutzen einer professionellen Außenwirkung beziffern? Wie können wir das Bewusstsein für Textqualität stärken?
Ich sage: Wir sollten uns unbedingt wieder in Richtung „besser“ bewegen. Und ich bin gespannt auf Ihre Meinung.
* Es heißt natürlich „Franks Bootswerkstatt“. Mit Apostroph-s (’s) bildet man im Englischen den Genitiv, nicht aber im Deutschen. Und ´s ist nirgendwo korrekt, denn ´ ist der französische accent aigu, der das e zu einem langen é macht, wie in „Café“. (Das Café ist übrigens der Ort und nicht das Getränk, das man dort serviert bekommt. Das ist der Kaffee. Sieht man auch häufig falsch.)