Eine „frauenfreie“ Vorstandsetage – oder eine „frauenlose“?

Kiefheim klärt auf

Wie wirkt die folgende Überschrift auf Sie? Ist „frauenfrei“ eine positive, neutrale oder eine negative Aussage? Wie ist es tatsächlich gemeint? Fragen über Fragen …

Die Überschrift eines Zeitungsartikels: „Mehr als die Hälfte der Vorstandsetagen ist frauenfrei“

Was ist hier das Problem?

Das Problem ist eine fehlerhafte Wortbildung, die das Gegenteil des Gemeinten aussagt.

Die Nachsilbe „-frei“ drückt meistens etwas Positives aus: arbeitsfrei, bügelfrei, sorgenfrei. Vergleichen Sie dagegen die Nachsilbe „‑los“: arbeitslos, belanglos, humorlos.

Beide Nachsilben (der grammatikalische Fachausdruck dafür ist „Suffix“) zeigen an, dass etwas nicht vorhanden ist. Allerdings schwingt eine Wertung mit, denn wenn etwas „…frei“ ist, ist das meist ein positiver Zustand. Das können Sie an den Beispielen im vorigen Absatz nachprüfen. Ist dagegen etwas „…los“ fehlt oft etwas, das aber wünschenswert wäre. (Bei „-los“ ist das allerdings nicht durchgängig der Fall, siehe etwa „mühelos“ oder „problemlos“).

Wenn die abgebildete Überschrift Vorstandsetagen als „frauenfrei“ bezeichnet, drückt das also einen positiven Zustand aus. Man könnte meinen, der Autor begrüßt es, dass so wenige Frauen in Unternehmensvorständen sind. Aus dem Artikel ging hervor, dass das nicht der Fall ist, aber diese Aussage schwingt in der Überschrift sehr deutlich mit.

Sie sehen: Es lohnt sich, genau auf Ihre Sprache zu achten, denn was auf den ersten Blick gleich scheint, ist es nicht unbedingt – und kann die Aussage Ihres Textes gewaltig verändern. Bei Unsicherheiten hilft der Blick von außen, zum Beispiel durch ein professionelles Lektorat.

Wie geht es besser?

Eine Überschrift, die den Sachverhalt neutral darstellt, könnte lauten:

  • „Mehr als die Hälfte der Unternehmensvorstände ohne Frauen“
  • „Frauen in den meisten Unternehmensvorständen unterrepräsentiert“

 

8 Kommentare

  1. Liebe Katja,

    interessant. Ich hatte genau den gegenteiligen ersten Impuls. Ich empfand die Überschrift als sehr negativ.
    Grund: Im Zusammenhang mit Personen/Lebewesen schwingt da für mich die Assoziation „Säuberung“ mit.
    Beispiele: ausländer-frei, ungeziefer-frei…

    Beate
    1. Liebe Beate,

      ich denke, wir sind doch beide der gleichen Meinung.

      Du sagst, „…frei“ klingt nach „gesäubert“. Gemeinhin wird das Resultat einer Säuberung als positiv empfunden. Sauber ist gut.
      Aber im Kontext mit Personen ist es eklig, da hast du ganz recht.

      Wenn die Überschrift frauen„freien“ Vorstandsetagen also eine positive Konnotation mitgibt, ist die *Aussage* der Überschrift insgesamt negativ zu bewerten, gerade weil das verwendete Wort formal positiv ist.

      D’accord?

  2. Grundsätzlich ist das ein sehr guter Gedanke! Danke dafür.
    Gleichzeitig fällt mir oft auf, dass Menschen die falschen Begriffe verwenden. Ich musste anscheinend auch sehr alt werden, um den Unterschied zwischen „anscheinend“ und „scheinbar“ zu lernen. Und jetzt übt meine Mutter das auch. Mit über 80.
    Es wäre natürlich schön, wenn Jounalist:innen Wörter immer bewusst und passend verwendeten.
    Ich finde DIESE Headline sowohl mit „frauenfrei“ wie auch mit „frauenlos“ absolut unflüssig/sperrig/unelegant. Ich hätte da selbst zwar ein paar Ansätze („Trotz Quote in über 50 % der Vorstandsetagen nur Männer“), aber was richtig Gutes fällt mir nicht ein, dazu müsste ich den Artikel lesen. Allerdings bin ich ja Grafikerin, keine Texterin. Ich darf die Überschrift also einfach doof finden, ohne es besser zu können 🤓

    1. Dein Überschriftenvorschlag gefällt mir richtig gut, das wäre auf jeden Fall eine bessere Wahl gewesen.

      Ich finde es toll, dass deine Mutter noch immer bereit ist, dazuzulernen. Und du natürlich auch 😉

      Und, ja, natürlich sollten am liebsten *alle* alle Wörter präzise verwenden. Und genau hinhören, was andere sagen. Na, man darf ja träumen …

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert