In diesem Sommer hörte ich von einem deutschen Unternehmer, der auf dem asiatischen Markt präsent sein wollte und seine Website von einer KI – zack! – in über 20 Sprachen übersetzen ließ. Kann man machen. Aber …
Aber vorher bitte nochmal nachdenken: Was soll Ihre Website eigentlich für Sie leisten? Ihr Angebot muss aus einer Masse mittelmäßiger Marketingbemühungen herausstechen wie ein Einhorn unter Brauereipferden. Ihre Einhorn-Website soll so richtig Lust auf Ihr Angebot machen und Ihr Unternehmen glänzen lassen. Sie ist das Aushängeschild Ihres Unternehmens!
Wie sie dazu aussehen und klingen muss, ist individuell und hängt von Ihrem Unternehmen und seinem Angebot ab. Diese Anforderungen haben Sie sicher längst geklärt. Die Frage ist nun: Kann eine KI-Übersetzung diese Anforderungen für die Zielsprachen erfüllen?
Natürlich ist die Entscheidung auch eine Budgetfrage, denn eine KI-Übersetzung kostet weniger als eine menschengemachte. Genauer gesagt: Die KI stellt Ihnen keine Rechnung. Aber sie kann Sie Ihre Glaubwürdigkeit kosten. Überlegen Sie also sorgfältig, ob das eingesparte Budget wirklich die Risiken für Ihr Markenimage aufwiegt.
Wo diese Risiken lauern, lesen Sie unten.
Dies ist mir wichtig:
Dieser Artikel ist nicht bloß KI-kritische Nörgelei. Er stützt sich auf jahrzehntelange Erfahrung, denn mein Berufsleben kreist seit den Neunzigern darum, Inhalte werbewirksam in Fremdsprachen zu übertragen. Gute Übersetzungen liegen mir wirklich am Herzen. Ich weiß, was dazugehört – und was alles schiefgehen kann.
Wer sich sonst nicht mit Übersetzungen befasst, hat das sicher nicht im Blick. Das ist verständlich und absolut okay. Doch gerade dann ist es um so wichtiger, sich gut beraten zu lassen.
Schauen wir uns also an, von welchen Faktoren es abhängt, ob die KI-Übersetzung Ihre Website vielleicht doch zum Brauereipferd macht.
Die KI übersetzt – was kann schon schiefgehen?
Szenario: Sie sind der eingangs erwähnte deutsche Unternehmer und gehen jetzt die Übersetzung ins Thailändische an. Auf dem Weg zur Thai-Website mit Einhornqualität lauern diese 7 Risiken auf Sie:
1. Problem ist nicht gleich Problem.
Um Ihr Produkt zu verkaufen, müssen Sie genau wissen, welches Problem Ihrer Zielgruppe es löst.
Doch in anderen Ländern können diese „pain points“ tatsächlich unterschiedlich sein. Je weiter voneinander entfernt die Kulturen sind, desto wahrscheinlicher ist das. Schließlich ist die Lebenswirklichkeit in einem anderen Land, einer anderen Gesellschaft, einem anderen Klima eine andere. Entscheidungsprozesse, Erwartungen, Rollen und Kommunikationsverhalten können sich gravierend unterscheiden, ebenso die Ausstattung von Büros und Privathaushalten. Mobilität, Essen, Schulen und so weiter.
Unser Beispiel Thailand ist ziemlich weit entfernt. Daher sollten Sie vor der Lokalisierung Ihrer Werbekampagne das Vertriebsteam vor Ort befragen und Ihre Botschaft gegebenenfalls anpassen.
Davon weiß die KI nichts. Aber was kann schon schiefgehen?
2. Jede Kultur tickt anders.
Übersetzte Inhalte müssen treffsicher Herz und Verstand erreichen – und zwar bei der Zielgruppe! Manche Texte sind jedoch so tief in der Kultur des Ausgangstexts verwurzelt, dass sie sich nicht sinnvoll übertragen lassen.
Stellen Sie sich ein Sonderangebot vor, das für den US-amerikanischen Markt mit dem warmen Wohlgefühl von Thanksgiving, Truthahn und trautem Familienglück wirbt: Dieses Fest feiern wir in Deutschland nicht, das Szenario würde hier ins Leere laufen. Ebenso ist es mit Wortspielen und Metaphern aus dem Baseball, mit Anspielungen auf Popkultur, Fernsehsendungen oder Stereotypen. Und wie würde man andersherum Ostfriesenwitze übertragen?
Fazit: Manchmal muss man beim Übersetzen den Zieltext neu schreiben, damit er sprachlich und kulturell passt. Beim Thanksgiving-Beispiel müsste man wohl noch weiter gehen und die Werbeanzeige für den Zielmarkt komplett neu konzipieren. In diesen Fällen brauchen Sie eine Transkreation.
Zurück zu Ihrem Website-Projekt: Sie kennen die thailändische Alltagskultur nicht und weisen die KI an zu übersetzen. Eine Anpassung oder gar Neukonzeption bekommen Sie damit nicht. Aber was kann schon schiefgehen?
3. Die KI übersetzt, aber versteht nicht.
Zugegeben, die maschinelle Übersetzung bzw. KI-Übersetzung – der Übergang ist fließend – liefert beeindruckende Ergebnisse und ist heute viel besser als früher. Also, was kann da schon schiefgehen?
Erstens: Bedenken Sie die Art und Weise, wie eine KI-Übersetzung entsteht. Die KI begreift nichts vom Textinhalt, sondern jongliert nur mit den Wörtern, die nach der statistischen Analyse ihres gigantischen Textkorpus am wahrscheinlichsten sind. Korrektheit spielt dabei keine Rolle. Wirklich nicht.
Zweitens: Beim Stil von KI-Texten ist Luft nach oben. Meistens (außer Sie haben eine KI mühevoll auf Ihre Markenstimme trainiert) spuckt die KI Einheitsbrei mit der Dynamik von Tapetenkleister aus. Das ist nicht das, was Sie brauchen. Oder wollen.
Auch wenn die KI inzwischen besser übersetzen kann, ist das noch nicht gut genug für Ihr Marketing. Das bestätigte mir diesen Sommer der Newsletter eines internationalen Unternehmens. Sein zäher, gestelzter Stil schrie sofort „KI-Übersetzung!“, es ging um ein neues Produktsystem: „Welchen Wert hat es für Sie?“ – „Was macht sie anders? Er ist nicht nur schnell, sondern auch …“ Mit „es“, „sie“ und „er“ ist jedes Mal das neue System gemeint. Logik? Fehlanzeige.
4. Wie gut spricht die KI eigentlich die Zielsprache?
Maschinenübersetzungen sind nur so gut wie ihre Trainingsdaten.
Die Sprachrichtung Englisch > Deutsch gehört zu den häufigsten Übersetzungsrichtungen. Das bedeutet, dass viele Dokumente in beiden Sprachen parallel vorliegen. Damit können MÜ- und KI-Systeme super trainieren und so kann die KI beim Generieren von Übersetzungen eine Vielfalt von Texten, Ausdrücken, Stilebenen und Formulierungen nutzen.
Aber je seltener eine Sprache gesprochen wird, desto seltener wird in Übersetzungen investiert und überhaupt gibt es deutlich weniger Texte in dieser Sprache. Damit schrumpft der Fundus, aus dem die KI schöpfen kann, und die Qualität der KI-Übersetzungen sinkt. Von den zu Beginn erwähnten asiatischen Sprachen gehörten sicherlich einige zu solch „kleinen“ Sprachen.
Hinzu kommt die historische Nähe von Sprachen. Wir dürfen davon ausgehen, dass auch bei einem kleineren Textfundus eine Übersetzung zwischen den eng verwandten Sprachen Deutsch und Niederländisch bessere Ergebnisse produziert als zwischen Deutsch und Thai, die so gar nichts miteinander zu tun haben.
Aber was kann schon schiefgehen?
5. Ohne Fachterminologie geht nichts.
Fachsprache ist überall. Sie finden sie in der Leistungsbeschreibung Ihres Handyvertrags oder in Ihrer Buchhaltungssoftware und natürlich erst recht in Hardcore-Fachtexten wie der Sterilisator-Bedienungsanleitung oder einer medizinischen Fachzeitschrift. Es braucht Fachwissen, um die Inhalte zu verstehen und Fachterminologie souverän anzuwenden.
Fachsprache benennt Sachverhalte präzise und effizient, sie sorgt für klare Kommunikation. Aber mit falschen Fachausdrücken versteht niemand, was gemeint ist: Kommunikationscrash, nichts geht mehr. Schon in Alltagstexten irritieren unerwartete Ausdrücke – wie in diesem Rezept für Kürbiskuchen, in dem eine Engländerin auf Deutsch „Eier und Zucker zusammenschlagen“ notiert hat.
Diese Aufforderung zu unangemessener Gewalt gegenüber Lebensmitteln können Sie natürlich einordnen, aber wenn die KI bei „echten“ Fachausdrücken danebengreift, verliert Ihr Text seinen Sinn und Sie jede Ausstrahlung von Kompetenz. Wer glaubt Ihnen dann noch, dass Sie Ihr Metier verstehen? Und würde etwas von Ihnen kaufen wollen?
Sofern das KI-System nicht gezielt auf das benötigte Fachgebiet trainiert wurde, dürfen Sie sich nicht darauf verlassen, dass es die Fachterminologie in beiden beteiligten Sprachen beherrscht. Aber was kann schon schiefgehen?
6. Sieht doch gut aus. Oder?
Sie haben also die KI angeworfen und vor Ihnen liegt ein Text in thailändischer Sprache.
Zumindest behauptet das der Onlinedienst. Sieht in Ihren Augen auch okay aus und erinnert Sie an die Urlaubsbilder, die Ihr Nachbar letztes Jahr aus Bangkok geschickt hat. Leider beherrschen Sie kein Thai, aber Sie haben es ja im Onlinedienst so ausgewählt. Passt doch. Was kann schon schiefgehen?
Das haben sich seinerzeit auch die Verantwortlichen gedacht, die uns Flaschen mit „Irish Mist“ in die Supermarktregale stellten. Glücklicherweise war nicht drin, was draufstand: Die Flaschen enthielten süßen Likör und nicht die Brühe, die dunkel aus dem Misthaufen rinnt. Und vielleicht haben Sie auch von dem missglückten Staubsauger-Werbeslogan „Nothing sucks like Electrolux“ gehört, was übersetzt heißt „Nichts ist so sch… wie Electrolux“? (Laut dem Unternehmen übrigens alles nur ein Mythos.)
Auf einer dieser Websites, die uns automatisch in deutscher Maschinenübersetzung präsentiert werden, überraschte mich vor einiger Zeit der Menüpunkt mit der Unternehmensvorstellung (sonst meist „Über uns“) mit der Bezeichnung „Um“. Wie das wohl bei Ihrer thailändischen Website aussieht?
Sie merken schon: Texte in Sprachen, die Sie selbst nicht bis in die kleinste Nuance beherrschen, sollten Sie vor der Veröffentlichung einer Person vorlegen, deren Muttersprache diese Sprache ist. Das ist der Realitätscheck und schützt Sie vor Klopfern, bei denen sich die Zielgruppe vor Lachen am Boden wälzt. Oder Ihre Website empört schließt und nie wieder aufruft.
7. Hauptsache Muttersprache?
Okay, Sie brauchen also muttersprachliches Feedback zur Übersetzung. Ihnen fällt Ihr netter thailändischer Masseur ein, der kann sicherlich helfen. Was kann da schon schiefgehen?
Leider eine ganze Menge. Denn dass Ihr Masseur aus Thailand stammt, heißt noch lange nicht, dass er seine Muttersprache auf Profiniveau beherrscht. (Nichts gegen Ihren Masseur!) In Deutschland machen genügend Menschen beim Schreiben ihrer Muttersprache Fehler (Beispiele finden sich on- und offline im Überfluss) und in Thailand bestimmt auch. Sie können sich daher nicht darauf verlassen, dass der Masseur seine Muttersprache so gut beherrscht, wie Sie es jetzt brauchen.
Sie benötigen Feedback und Korrektur von einer Person, die absolut sattelfest in der Zielsprache ist. Die erkennen kann, ob der Stil angemessen ist, ob Sprachbilder schief sind, ob peinliche Fehler im Text stecken. Die generell mit Text umgehen kann und im Idealfall – siehe Punkt 5 – im Thema drin ist und den Text auch fachsprachlich beurteilen kann. (Wie Sie so eine wunderbare Person finden, lesen Sie hier.)
Website mit Wohlklang
Was kann schon schiefgehen?
Jetzt wissen Sie’s.
Ja, mit etwas Glück läuft alles glatt durch und die mit KI übersetzte Website tut, was sie soll. Aber mal ehrlich: Was läuft schon perfekt? Bei so vielen Risikofaktoren hat eine KI-Übersetzung das Katastrophenpotenzial von Haareföhnen in der Badewanne. Da brauchen Sie eine große Portion Glück.
Auf dem Spiel stehen Ihr geschäftlicher Erfolg und Ihr Image. Wollen Sie wirklich nur auf Glück setzen und das alles ohne jede Überprüfung einer KI anvertrauen?
Ich halte das für wagemutig. Mut zum Risiko im Geschäftsleben ist ja gut und schön, aber hier nicht.
Zwar macht eine sorgfältige Übersetzung mit Unterstützung von Fach- und Sprachprofis mehr Mühe und kostet auch mehr als die KI-Übersetzung. Aber Sie kennen sicher den Dreiklang von Schnelligkeit, Preis und Qualität: Sie bekommen immer nur zwei, nie alle drei. In diesem Dreiklang kann die KI schnell und billig – aber das klingt dann eben nach müdem Brauereipferd. Sie wollen das silberhelle Einhornlachen!
Wenn Sie Ihre Website aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen lassen möchten, helfe ich gerne.

Oh – wieder GUT GEMACHT!
Mich hast Du überzeugt!
Freut mich!
Äußerst unterhaltsam und ach so zutreffend. Dem kann nichts hinzugefügt werden.
Danke, Susanne. Wir beide kennen uns mit Übersetzen ja nun wirklich aus.
„Die KI übersetzt, aber versteht nicht.“ bringt doch schon fast alles auf den Punkt. Der Versuch, nur mit einem Wörterbuch in der Hand einen Text Wort für Wort zu übersetzen, scheitert ja auch an mangelndem Sach- und Sprachverstand. Und nur weil diesen Vorgang jetzt eine KI übernimmt, wird das Ergebnis nicht besser.
Sehr treffender Kommentar, danke!
Ja, wer schon mal übersetzt hat, hat das selbst erlebt. Ist einfach so. (Genau deshalb gibt es ja Leute, die sich spezialisieren und sowas beruflich machen.)
Super Rundumschlag zu den Fallstricken von Übersetzung per KI, Katja! Das „Zusammenschlagen“ der Eier im handschriftlichen Rezept könnte übrigens auch einfach ein zu eng beieinander stehendes „zusammen schlagen“ sein. Was genau einen weiteren Fallstrick für KI zeigt: Tipp- und Schreibfehler, wie sie ja durchaus nicht nur Nichtmuttersprachler*innen unterlaufen.
Danke für dieses Lob aus berufenem Munde, Susanne!
Dass bei „zusammenschlagen“ der Abstand zwischen den Worten zu klein geraten sein könnte – gute Idee, ist mir noch nie gekommen. Allerdings sind alle anderen Abstände in diesem Auszug so üppig, dass ich das für nicht sehr wahrscheinlich halte.
Dieser KI-Schrott wird sich noch weiterentwickeln, und zwar in dem Maße, in dem KIs immer weniger mit professionellen, also menschengemachten Übersetzungen gefüttert werden, sondern mit ihrem eigenen miserablen Output. Das führt in eine Abwärtsspirale, die kaum aufzuhalten ist. Downcycling bis der Arzt kommt 🙁
Jo. GIGO: Garbage in, garbage out.
Soweit ich weiß, zeigen Studien bereits, dass die Art und Weise, in der Menschen sprechen, sich zunehmend dem KI-Stil annähert. Entsetzlich! Und ich fürchte, da kommt kein Arzt.
Und gerade erst gestern habe ich eine Auswertung gesehen, der zufolge KI-Antworten immer häufiger falsch sind, meistens so um die 30 %. Man müsste also auch dringend über den Wert von Fakten sprechen.