Weihnachtsgeschichte 2025

Sie kennen das sicher selbst: In der Vorweihnachtszeit gibt es irgendwie immer doch noch etwas, was zu planen und zu besorgen ist. Das fängt spätestens mit dem Adventskalender für die Kinder an und geht nahtlos über in: Geschenke überlegen und besorgen, wann reist eigentlich die Familie zu den Feiertagen an, Festessen planen, Weihnachtsfeiern absolvieren, Weihnachtspost schreiben, Geschenke einpacken, kleine Aufmerksamkeiten für die Nachbarn, die Postbotin, den Zeitungszusteller … und ganz nebenbei läuft ja noch der normale Alltag, der meist schon anspruchsvoll genug ist.

Kann es also sein, dass meine diesjährige Protagonistin Marit mit ihrer Einschätzung etwas überoptimistisch ist?

„Dieses Jahr haben wir Weihnachten im Griff!“

So., 30. November

22:15 Uhr

An einem weihnachtlichen Wandbehang hängen viele kleine Adventskalenderpäckchen.Henning und ich stoßen mit einem Glas Wein an. Gerade haben wir die Adventskalenderpäckchen für die Kinder aufgehängt. Es macht ja von Jahr zu Jahr mehr Mühe, auch für Teenager etwas zu finden, was nicht nur Schokolade ist, aber ich finde, wir haben wieder richtig gute Ideen gehabt.

Ich fühle mich rundum zufrieden und entspannt. Ich glaube, dieses Jahr haben wir Weihnachten gut im Griff!

Mo., 01. Dezember

06:43 Uhr

Geräusche von oben, die Kinder stehen auf. Ich bin schon so gespannt, was sie zum Adventskalender sagen!

06:59 Uhr

Linda ist gerade mal 11, kann aber schon einen Flunsch ziehen und die Augen verdrehen wie ihr großer Bruder: Schon wieder ein „lustiges“ Radiergummi, sie hätte doch noch drei aus den letzten Jahren liegen. Ja, Kind, dann mach doch einfach mehr Fehler, dann verbrauchst du auch mehr Radiergummis!

07:03 Uhr

Echt jetzt. Nächstes Jahr kaufe ich euch einen Billigschoki-Kalender bei Aldi!

Di., 02. Dezember

10:24 Uhr

Die gesamte Firmen-IT ist auf einen Schlag weg. Viola und ich schauen uns ratlos an. Niemand weiß, was los ist. Wir schwärmen aus, irgendwer muss doch was wissen.

10:30 Uhr

Viola hat den Assistenten der Chefin abgefangen. Offenbar hatten wir einen Hackerangriff, und die IT hat einmal komplett den Stecker gezogen, damit keine Daten abfließen.

Okay: kein Telefon, keine E-Mail, keine Auftragsverwaltung, kein ERP. Ich schätze, das wird ein ruhiger Tag werden. Immerhin, Papier und Stift funktionieren noch. Ich mache mich mal ganz oldschool an den Weihnachtsnewsletter.

18:28 Uhr

Hab ich gesagt, das wird ein ruhiger Tag? Um kurz nach eins gingen die Telefone wieder und standen seitdem nicht mehr still. Mein Kopf platzt gleich. Hoffentlich schaffe ich es überhaupt noch nach Hause. Immerhin: Nächste Woche soll alles wieder laufen.

Mi., 03. Dezember

19:48 Uhr

Laurenz redet seit dem Sommer von großen Kopfhörern, die soll er nun zu Weihnachten kriegen. Da darf Henning jetzt ran: Ich gehe nach dem zweiten Tag IT-Chaos bei der Arbeit auf dem Zahnfleisch und brauche dringend Feierabend. Außerdem liebt Henning Technik-Recherchen. Brrr!

21:44 Uhr

Der Abspann des Krimis läuft. Gemeinsam mit Henning zu gucken, hätte zwar mehr Spaß gemacht, aber der sitzt noch am Rechner und recherchiert nach den optimalen Kopfhörern.

21:57 Uhr

Henning hat es auch endlich nach unten geschafft. Meine Frage, ob er jetzt einen Kopfhörer bestellt hat, ist offenbar eine blöde Frage: Er lacht und sagt, er hat doch gerade erst angefangen. Hoffentlich denkt er dran, dass Heiligabend dieses Jahr schon am 24. ist!

Do., 04. Dezember

21:18 Uhr

Höchste Zeit, das Weihnachtsmenü zu planen! Genauer gesagt die Weihnachtsmenüs. Heiligabend kommen meine Eltern und bleiben bis zum 2. Feiertag, am 1. Feiertag kommen noch Hennings Eltern dazu. Henning ist ein Mann mit vielen Qualitäten, aber Kochen gehört nicht dazu. Das ist also meins, und während er oben weiter nach Kopfhörern recherchiert, habe ich jetzt einen Stapel Kochbücher vor mir. Und ein Glas Rotwein – das habe ich mir nach einem weiteren Katastrophentag im Büro verdient!

21:35 Uhr

Rehgulasch oder Filet Wellington?

21:47 Uhr

Coq au vin? Apropos. Der neue Wein ist echt lecker. Der würde sich auch gut auf der Festtafel machen. Ich gieß nochmal ein und schmecke genau hin.

22:38 Uhr

Henning weckt mich und sagt, ich soll ins Bett gehen. Er berichtet, bei den Kopfhörern kommt er voran, es würde allmählich klar, welches die maßgeblichen Spezifikationen sind. Klar, mein Schatz, es eilt ja nicht.

Fr., 05. Dezember

11:04 Uhr

Entenbrust mit Orangensauce?

13:36 Uhr

Nächste Woche soll die IT wieder wie gewohnt laufen, die IT-Abteilung schiebt seit Tagen Überstunden (wir auch!!) und kommt sogar am Wochenende rein. Viel Glück, Leute, wäre ja schön.

Sa., 06. Dezember

16:29 Uhr

Weihnachtsmarkt am Nikolaustag ist Tradition in unserer kleinen Familie: Anstatt dass wir Eltern spätabends irgendwelche Dinge in schlecht geputzte Schuhe würgen, dürfen sich die Kinder auf dem Weihnachtsmarkt selbst ein kleines Geschenk aussuchen.

18:12 Uhr

Einen Becher mit heißem Glühwein zwischen den Händen, neben mir Henning und die Kinder, schaue ich mich um. Stimmungsvolle Lichter, die schöne große Tanne vor dem Rathaus, da hinten das Riesenrad. Ist das schön! Laurenz und Linda nippen an alkoholfreiem Punsch – Laurenz nur so mittelglücklich, er hätte lieber richtigen Glühwein gehabt. Vielleicht nächstes Jahr, dann ist er 16.

Aber wenigstens diesmal sind sie mit ihren Geschenken zufrieden: Linda hat sich für einen Kerzenhalter in Wichtel-Form entschieden, Laurenz hat ein Lederarmband bekommen.

19:42 Uhr

Wieder zu Hause. Linda hat ihren Wichtel ins Wohnzimmer auf die Anrichte gestellt, „damit sich alle daran freuen können“. Die Süße!

So., 07. Dezember

20:14 Uhr

Ein versumpfter 2. Advent geht zu Ende. Das habe ich aber echt gebraucht nach dieser Höllenwoche. Hoffentlich laufen morgen im Büro alle Systeme wieder ganz normal!

Mo., 08. Dezember

08:32 Uhr

Nix läuft normal hier. Offenbar waren die Leute von der IT nach der Woche auch komplett durch und haben bei ihrer Wochenendaktion irgendwas fehlkonfiguriert. Alles auf Anfang, der ganze Mist geht jetzt wieder von vorne los!

08:45 Uhr

Ich schwanke, ob mir die ITler leid tun sollen oder ob ich sie verwünschen soll.

08:46 Uhr

Na, vor allem tu ich mir leid. Keine Ahnung, wie lange ich das noch durchhalte.

14:52 Uhr

Lammschulter mit Kartoffelgratin?

14:54 Uhr

Nee. Das ist was für Ostern.

18:37 Uhr

Abgekämpft betrete ich das Haus, und Musik begrüßt mich, wie zauberhaft! Oben übt Laurenz wieder Kontrabass für das Weihnachtskonzert mit dem Schulorchester. Das ist so schön, da fällt der Stress nach dem Büro-Wahnsinn gleich von mir ab.

Di., 09. Dezember

07:54 Uhr

Roastbeef? Ich muss allmählich eine Entscheidung treffen!

10:16 Uhr

Oder ganz klassisch Gans mit Klößen?

10:22 Uhr

Warum muss es eigentlich immer Fleisch sein? Diese Gemüselasagne neulich war doch superlecker.

10:23 Uhr

Nee, das kann ich nicht machen. Dann spricht Hennings Vater nie wieder ein Wort mit mir.

10:24 Uhr

Obwohl …

19:02 Uhr

Hihi, die eine Stelle in Laurenz‘ Kontrabass-Stück scheint ihm schwerzufallen. Er hat sich gerade dreimal hintereinander verspielt!

Mi., 10. Dezember

19:22 Uhr

Toll, wie Laurenz am Kontrabass dranbleibt. Er übt die schwierige Stelle heldenhaft weiter. Der Junge hat Biss!

21:03 Uhr

So. Das Menü steht. Heiligabend gibt’s Steinpilzrisotto, am ersten Feiertag Gans und am zweiten Feiertag Roastbeef. Morgen bestelle ich bei der Schlachterei unseres Vertrauens. Hoffentlich bin ich nicht schon zu spät dran.

Und morgen kümmere ich mich um Lindas Weihnachtsgeschenk. Auf Henning kann ich dabei nicht zählen: Wir können uns alle freuen, wenn er das mit den Kopfhörern noch dieses Jahr hinbekommt.

21:18 Uhr

Und jetzt ins Bett.

Do., 11. Dezember

00:44 Uhr

Mein Göttergatte reißt mich mit der Nachricht aus dem Schlaf, dass er endlich die Kopfhörer für Laurenz bestellt hat. Ja, toll, halleluja, aber hätte das nicht bis morgen warten chhhrrr …

09:41 Uhr

Gans und Roastbeef sind vorbestellt, mir fällt ein Stein vom Herzen. Kann ich da jetzt eigentlich sagen „Schwein gehabt“?

10:31 Uhr

Eigentlich sollte die IT diese Woche wieder laufen. Das wird nix. Gerade kam die Nachricht, dass es noch bis nächste Woche dauert. Auf allen Schreibtischen stapeln sich die großen Ordner mit unseren handschriftlichen Notizen. Ganz sicher ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand davon erschlagen wird. Oder durchdreht und jemand anderes erschlägt.

19:52 Uhr

Ich werde wahnsinnig! Seit Tagen dasselbe Melodiestück mit demselben Fehler! Genau jetzt werde ich Laurenz das Kontrabassüben untersagen. Zur Not nehme ich ihm den Bogen weg. Wenn ich noch ein!mal! hören muss, wie er sich an dieser Stelle verspielt, garantiere ich für nichts mehr!

20:56 Uhr

Immerhin war Lindas Weihnachtsgeschenk unkompliziert. Ich habe den neuen Hockeyschläger bestellt, den sie sich wünscht. Das Ding sieht echt cool aus, dazu noch ein paar Schienbeinschoner. Die Schuhe müssen wir gemeinsam im Laden kaufen, dafür bekommt sie einen Gutschein.

Und ich krieche jetzt ins Bett. Bin todmüde.

Fr., 12. Dezember

19:31 Uhr

Ich höre Linda den Text für ihre Rolle als Herbergswirtin im Weihnachtsstück in der Schule ab. Das macht sie richtig gut.

19:40 Uhr

Linda stupst mich wach. Ups, da bin ich wohl eingenickt.

19:47 Uhr

Schon wieder. Das kann man aber kaum noch als stupsen bezeichnen. Linda guckt übelst beleidigt. Ich erkläre ihr, dass es auf der Arbeit gerade die Hölle ist, aber ihr Mitgefühl hält sich in Grenzen.

19:54 Uhr

Ich wache auf, als Linda schwungvoll aufsteht und den Stuhl zurückschiebt. „Dann schlaf doch!“ schreit sie und rauscht empört Richtung Wohnzimmertür. Oh ja, bitte! Am besten gleich bis Montag!

19:55 Uhr

Linda unterbricht ihren dramatischen Abgang und bleibt abrupt stehen. Sie guckt erst zur Anrichte und sieht dann mich anklagend an: „Wo ist mein Nikolauswichtel?!“ Tatsächlich: Der Wichtel steht nicht mehr da, wo sie ihn neulich nach dem Weihnachtsmarkt hingestellt hat. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was damit passiert ist, und außerdem bin ich doch eben erst aus dem Schlaf gerissen worden!

19:56 Uhr

Linda fackelt nicht lange und stratzt aus dem Wohnzimmer. Schon auf der Treppe höre ich sie brüllen: „Laurenz, wo ist mein Wichtel?“ Ich bin schlagartig wach und eile hinterher, um Brudermord zu verhindern.

20:21 Uhr

Gerade nochmal gut gegangen. Bei Laurenz war heute Julklapp in der Schule, er hatte verpeilt, sich rechtzeitig um ein Geschenk zu kümmern, und hat in seiner Not einfach Lindas Wichtel verschenkt. Linda tobt und hätte ihrem Bruder am liebsten seinen Kontrabass über den Kopf gezogen. Zum Glück ist der Kontrabass groß und Linda erst elf. Ich konnte sie in ihr Zimmer verfrachten und habe Laurenz einen gehörigen Einlauf verpasst. Morgen besorgt er Linda einen neuen Wichtel. Aber an dem neuen werden wohl nicht mehr so glückliche Erinnerungen hängen. Na, vielleicht können die beiden eines Tages darüber lachen.

Sa., 13. Dezember

12:03 Uhr

Die Gemüter haben sich wieder beruhigt und wir können in Harmonie die Weihnachtsbäckerei angehen. Laurenz hat keine Lust, Linda und ich dafür um so mehr. Schokoladentaler, Pfefferkuchen, Nusshäufchen und Schneeflocken: Wir haben uns ganz schön was vorgenommen!

13:53 Uhr

Die Pfefferkuchen sind fertig, die Schokoladentaler im Ofen. Jetzt kommen die Nusshäufchen dran. Ich steige auf den Hocker, um die Oblaten aus dem Schrank zu holen.

13:54 Uhr

AU!! Auf dem Weg nach unten bin ich abgerutscht und mit dem Knöchel umgeknickt. Sauweh tut das!

13:56 Uhr

Linda hat mir ein Handtuch nassgemacht, das kühlt schön auf dem nackten Knöchel.

13:59 Uhr

Ich sehe schon, wie er dick und lila wird. Ob ich wohl auftreten kann?

14:00 Uhr

Autsch. Nein. Das ist gar nicht gut.

14:10 Uhr

Henning fährt mich ins Krankenhaus. Linda läuft zu Hochform auf und verspricht, die Backerei fertig zu machen. Wie schön, wenn die Kinder groß werden!

18:32 Uhr

Endlich raus aus der Klinik und an die frische Luft! Man sollte sich Verletzungen nicht ausgerechnet samstags zulegen: Da quillt die Notaufnahme über vor lauter Sportverletzungen aus den Wochenend-Punktspielen. Weil ein umgeknickter Knöchel nicht lebensbedrohlich ist, musste ich ziemlich lange warten.

Ergebnis: Die Außenbänder am Sprunggelenk sind angerissen. Ich habe jetzt eine todschicke Orthese, die ich auch nachts tragen muss, und Krücken. Schonen soll ich den Fuß … aber ins Büro darf ich trotzdem, weil ich da am Schreibtisch sitze. Mensch, Marit, das hättest du aber auch gründlicher machen können!

18:55 Uhr

Wir betreten das Haus, aber niemand antwortet auf unser Rufen. Laurenz übt schon wieder Kontrabass, aber wo ist Linda?

18:56 Uhr

In der Küche nicht. Dafür sieht es in der Küche aus wie nach einer Mehlexplosion mit anschließender Saalschlacht. Henning entdeckt einen Zettel: „Musste zum Hockey-Punktspiel, ganz vergessen. Kekse stehen auf der Anrichte. Hab euch lieb! Linda“ Ich breche in Tränen aus: Erst der Knöchel und dann das Küchenchaos, das ist zu viel.

19:14 Uhr

Henning kümmert sich. Ich und mein Knöchel, wir ruhen uns auf dem Sofa aus und haben Feierabend. Die Nusshäufchen sind Linda jedenfalls prima gelungen!

So., 14. Dezember

16:07 Uhr

Dritter Advent. Ich darf mich von allen bedienen lassen und wir sitzen im Kerzenschimmer und essen Kekse. Es hat doch auch seine schönen Momente.

Mo., 15. Dezember

17:02 Uhr

Nachricht von Henning: Die Kopfhörer für Laurenz sind immer noch nicht da: Eigentlich sind sie seit drei Tagen im Versand, aber der Sendungsstatus steht hartnäckig auf „Die Sendung wurde uns angekündigt“. Nur noch neun Tage bis Heiligabend!

Di., 16. Dezember

11:27 Uhr

Der Sonntag war ja noch entspannt, aber Büroalltag mit Krücken und Orthese und immer noch nicht ganz funktionstüchtiger IT ist der reine Irrsinn! Ich habe vor über zwei Stunden mit einer E-Mail angefangen und komme einfach nicht dazu, sie fertig zu schreiben.

Mi., 17. Dezember

19:02 Uhr

Beim Abendessen lästert Laurenz über Sören aus seiner Klasse. Der hat jetzt genau solche Riesenkopfhörer wie die Dinger, nach denen Laurenz sich seit Monaten verzehrt. Tja, sieht so aus, als hätten wir eine entscheidende Trendwende verpasst: „voll cringe“ und „facepalm“, fremdschämt sich Laurenz, und der Rest seiner Freunde offenbar auch. Henning erinnert ihn vorsichtig daran, dass er selbst noch vor drei Wochen davon geträumt hat. Laurenz sieht ihn verständnislos an und verkneift sich gerade noch den nächsten Facepalm. „Kann gar nicht sein, Papa. Du hörst mir eben nie zu!“

Linda klärt uns auf: Mini-Ohrstöpsel sind jetzt wieder angesagt, das weiß man doch.

Henning und ich tauschen Blicke aus: Weihnachtsgeschenk-Alarmstufe dunkelorange!

20:11 Uhr

Henning hat den Lieferstatus geprüft: Weil die Kopfhörer bereits im Versand sind, ist an der Bestellung nichts mehr zu ändern.

20:18 Uhr

Dann kriegt der Knabe eben einen Gutschein und soll sich irgendwas Cooles kaufen!

20:33 Uhr

Ich gehe ins Bett. Ich kann kaum noch die Augen offenhalten.

Do., 18. Dezember

14:07 Uhr

Anruf vom Schlachter. Sie haben doch kein Roastbeef für uns, der Azubi hat sich neulich vertan. Na toll, und jetzt?

14:10 Uhr

Ach, fasst mich doch alle anne Füße! Ich habe keine Energie mehr, überall nach anderthalb Kilo Roastbeef rumzutelefonieren. Am zweiten Feiertag hau ich uns allen ein Schnitzel in die Pfanne, und wer das nicht mag, kann ja zu Meckes gehen. So.

18:51 Uhr

Henning schaut mich ganz komisch an, als ich ihm das erzähle. Dabei mag er doch Schnitzel.

Fr., 19. Dezember

15:40 Uhr

Wieder eine Woche geschafft. Die IT läuft seit heute Nachmittag wieder, das Roastbeef kann mir gepflegt den Buckel runterrutschen, Laurenz’ Kopfhörer sind inzwischen für den 29.12. angekündigt, aber das ist ja eh egal, und die Orthese nervt. Wenigstens kann ich heute früher das Büro verlassen, weil heute der letzte Schultag ist und in Lindas Schule das Weihnachtsstück aufgeführt wird, in dem sie mitspielt. Ich schalte den Rechner aus, ziehe den Mantel an und gehe.

15:43 Uhr

Ich bin schon fast am Ausgang, als mir auffällt, dass ich meinen Rucksack im Büro gelassen habe. Mist.

15:49 Uhr

Endlich verlasse ich das Gebäude. Es regnet. Der Plastiküberzug für meinen Orthesenfuß liegt noch im Büro. Ich kehre ein zweites Mal um. Bin ich am Ende? Ja, ich bin am Ende.

18:26 Uhr

Das Weihnachtsstück ist zu Ende und war richtig schön. Linda hat ihre Sache so gut gemacht! Henning und ich platzen vor Stolz.

Sa., 20. Dezember

10:48 Uhr

Das letzte Wochenende, bevor der Weihnachtsbesuch kommt: Es muss geputzt werden. Henning kauft ein, ich muss ja meinen Fuß schonen, da müssen Laurenz und Linda ran. Sie werden das bestimmt verstehen.

15:22 Uhr

Sie haben es bestimmt verstanden – aber sehr gut verborgen. Wenigstens wissen sie jetzt, welche Feinheiten man beim gründlichen Saubermachen beachten muss. Zum Beispiel beim Staubsaugen keine runden Ecken machen und das Waschbecken auch auf der Unterseite wischen. Doch, das ist notwendig. Ja, ganz sicher. Mir egal, du machst das trotzdem so!

Naja, jetzt ist alles schön sauber, und spätestens Weihnachten haben sie mich auch wieder lieb.

So., 21. Dezember

12:10 Uhr

Wir haben die Kekstüten für die Nachbarn gepackt und hübsche Anhänger dafür gestaltet. Linda ist vielleicht ein ganz kleines bisschen mit dem Glitzer eskaliert, aber was soll’s – alles handgemacht!

15:22 Uhr

Wegen meiner Krücken haben Henning, Linda und ich einen Platz in der ersten Reihe bekommen. Gleich geht das Schulkonzert mit Laurenz’ Orchester los. Wir sind schon so gespannt!

16:13 Uhr

Ein tolles Programm, und die Jugendlichen machen ihre Sache gut. Gleich kommt die Stelle, wo Laurenz sich dauernd verspielt hat. Ich schaue ganz genau zu ihm hin.

16:14 Uhr

Laurenz fängt meinen Blick auf und beinahe brechen wir beide in Lachen aus. Hoffentlich behält er jetzt die Nerven!

16:15 Uhr

Jawoll, Nerven aus Stahl, der Bursche! Er hat rechtzeitig weggeguckt und war sofort wieder hochkonzentriert. Ich schmelze dahin.

Mo., 22. Dezember

08:02 Uhr

Der letzte Arbeitstag vor Weihnachten, denn morgen habe ich schon Urlaub. Die letzten acht Stunden schaffe ich jetzt auch noch.

08:07 Uhr

Ich mag nicht mehr! Die IT hat doch schon wieder Schluckauf! Ich finde, wir haben uns alle mindestens zwei Gehälter Weihnachtszulage verdient. Bis auf die Vollpfosten in der IT-Abteilung natürlich.

15:36 Uhr

Die Augen von Viola am Schreibtisch gegenüber sind im Laufe des Tages immer glasiger geworden. Jetzt streicht sie die Segel, geht nach Hause und kündigt an, sich mindestens bis Weihnachten ins Bett zu legen.

15:40 Uhr

Die Chefin bittet mich auf den Urlaubstag zu verzichten und morgen doch reinzukommen. Es geht nicht, dass Viola und ich beide nicht da sind, denn gerade am letzten Tag muss noch jemand für die Kunden ansprechbereit sein, erst recht, wo die IT-Systeme wieder wackeln. Das sehe ich ja ein … aber ich kann doch auch nicht mehr! Na komm, Marit, sage ich mir, den einen Tag schaffst du noch. Und dann ist Weihnachten.

15:42 Uhr

Bei näherer Überlegung ist das fast noch schlimmer als Büro: Was noch alles zu erledigen ist! Und es wird nicht ansatzweise erholsam, tagelang für zig Personen ein Festessen nach dem anderen auf den Tisch zu bringen. Mir treten Tränen in die Augen. Ich will meine Ruhe haben!

Di., 23. Dezember

18:23 Uhr

War ein langer Tag. Ein langer Monat. Aber jetzt ist es endlich geschafft. Und ich bin es auch.

20:31 Uhr

Ich liege im Bett. Ja, ziemlich früh, aber das ist mir so egal. Morgen wird’s mit dem Weihnachtsendspurt nochmal heftig: Gans abholen, letzte Einkäufe, Weihnachtsbaum besorgen, Gästebetten machen, und um 14 Uhr müssen wir schon meine Eltern am Bahnhof abholen. Ich darf gar nicht daran denken. Aber das werden wir schon alle gemeinsam wuppen. Und Henning ist so ein Schatz: Er hat gesagt, ich soll ausschlafen. So lieb von ihm! Ich bin am Ende meiner Kräfte. Wenn bloß schon alles vorbei und der Besuch wieder weg wäre. Ruhe. Einfach nur Ruhe …

Mi., 24. Dezember

05:14 Uhr

Aufgewacht. Was soll das? Mein Körper ist noch völlig erschöpft, aber mein Hirn wittert Morgenluft und fängt schon mal an zu denken. Schon gehen mir tausend Sachen im Kopf rum. Das wird nichts mehr mit Schlafen. Ich stehe auf, krücke leise aus dem Schlafzimmer und nehme die Gästebetten in Angriff.

05:31 Uhr

Die bezogenen Decken liegen auf dem Gästebett und sehen so weich aus! Ich kuschele mich kurz hinein, schließe die Augen, nur für einen Moment!

09:52 Uhr

Jemand knufft mich in den Arm. Ich fahre hoch. „Papa sagt, der Kaffee ist fertig. Du sollst runterkommen.“ Linda steht vor mir, durch die Vorhänge fällt gedämpftes Tageslicht ins Zimmer. Ich schaue auf den Wecker und bekomme fast einen Herzinfarkt – wir haben doch noch so viel zu tun, warum hat mich niemand geweckt?

10:03 Uhr

Laurenz sitzt am Frühstückstisch und ist in sein Handy vertieft. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „You’ve got a brain. Use it.“ Ich mahne: „Du ziehst dich aber um, bevor Oma und Opa kommen!“ und ernte noch nicht mal verdrehte Augen, sondern bloß einen langen, leicht amüsierten Blick. Was ist das denn? Die neue Weihnachtsmilde?

Henning sitzt seelenruhig im Wohnzimmer und liest Zeitung. Der Tisch ist gedeckt, frische Brötchen warten, Kaffee duftet. „Henning, was ist los? Du musst die Gans abholen! Die letzten Einkäufe! Der Weihnachtsbaum! Nachher meine Eltern vom Bahnhof abholen!“

Henning faltet umständlich die Zeitung zusammen. Herrgott, wo nimmt dieser Mann bloß die Ruhe her? „Schatz, es ist alles unter Kontrolle. Lass uns erstmal gemütlich frühstücken. Laurenz war schon beim Bäcker!“

„Es ist zehn Uhr durch und die Geschäfte machen in zwei Stunden zu!“ Klingt meine Stimme gerade ein bisschen hysterisch?

„Also dann“, sagt Henning und steht auf, „dann ist es jetzt wohl Zeit für die große Weihnachtsüberraschung.“ Er kommt auf mich zu und kriegt einen ganz liebevollen Blick. „Marit, meine liebe Marit. Der ganze Weihnachtszirkus ist doch seit Wochen viel zu viel, vor allem für dich. Du sollst nicht kaputtgehen.“

Er nimmt mich in den Arm und drückt mich. Das ist schön und tut unendlich gut, aber ich will jetzt erstmal wissen, was hier los ist! Ich mache mich los. Henning guckt immer noch ganz liebevoll und spricht weiter.

„Deswegen habe ich umdisponiert: Es kommt kein Besuch. Es gibt keine dreitägige Völlerei. Und einen Weihnachtsbaum brauchen wir auch nicht.“

Ich starre Henning mit offenem Mund an.

„Was wir am meisten brauchen, ist doch Ruhe. Unsere Eltern sehen das auch so. Kein Muss-muss-muss mehr. Deshalb habe ich uns vor ein paar Tagen ein Ferienhaus an der Nordsee gemietet. Über Weihnachten und Silvester. Heute gibt’s Nudeln mit Pesto vor dem Kaminfeuer, morgen die Schnitzel, übermorgen Gemüsesuppe und dann sehen wir mal. Wir frühstücken jetzt gemütlich, dann besorge ich die letzten Sachen, du duscht währenddessen in Ruhe und packst deinen Koffer für zehn Tage Nordseewinterwetter und dann geht’s los.“

Ich lasse mich auf den Stuhl hinter mir sinken, nehme kaum wahr, dass die Krücken klappernd zu Boden fallen. Ich sitze da, finde keine Worte und dann laufen mir die Tränen.

Jetzt ist Weihnachten!

© Katja Heimann-Kiefer
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In diesem Sinne: Ich wünsche Ihnen eine unaufgeregte Adventszeit, frohe Feiertage und erfreuliche Überraschungen. Bis zum nächsten Jahr!

Und wenn Sie noch etwas lesen mögen: Hier geht’s zu den Weihnachtsgeschichten der vergangenen Jahre.

 

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